Die Epoche der Renaissance und der Reformation hat die moderne Frage der Überwindung der Metaphysik eröffnet. Rückkehr zu den Quellen, Reinigung der Sprache, Wiederbegegnung mit der „Sache selbst“ der biblischen Offenbarung sind Ideale dieser Epoche, welche bis heute in den Projekten von Wittgenstein und Heidegger fortwirken.[1]
Den Versuch, die metaphysische Tradition zu überwinden oder in ihre Grenzen zu verweisen, kann man in einem Paar von Sprüchen resümieren. Der erste Spruch stammt von Goethe: „Man suche nur nichts hinter die Phänomene: sie selbst sind die Lehre.“[2] Heidegger zitiert diesen Satz als Parole der phänomenologischen Einstellung, sowie auch die Zeile: „Du halte dich ans Weil, und frage nicht: Warum?“[3] Die menschliche Freiheit und die göttliche Allmacht, insofern sie uns als Phänomene zugänglich sind, gehen verloren, wenn wir sie überspringen, um nach ihren letzten Gründen zu fragen oder um einen vermeintlichen logischen Widerspruch zwischen ihnen zu lösen. Luther hat besser als Erasmus diese Phänomene in den Blick genommen, weil bei Erasmus der scharfe Sinn dafür, der von reichen Erfahrungen geboren wird, fehlte. Aber Luther hat die Phänomene auch wieder aus dem Blick verloren, wo er auf metaphysische, deterministische Denkmodelle rekurrierte.
Der zweite Spruch kommt von Ludwig Wittgenstein. Er sagt von einer typischen metaphysischen Aussage, „Es gibt physikalische Gegenstände,“ nicht, daß sie lauter Unsinn sei, sondern daß „diese Behauptung, oder ihr Gegenteil, sei ein fehlgegangener Versuch (etwas) auszudrücken, was so nicht auszudrücken ist.“[4] Wie und warum es fehlgeht bleibt zu klären.
Wie steht es mit Aussagen wie: „Es gibt einen freien Willen, es gibt keinen freien Willen, menschliche Freiheit und göttliche Vorherbestimmung sind unversöhnbar“? Vermutlich sind auch solche Sätze fehlgegangen, und eine sprachliche Therapie der Theologie dürfte zeigen, wo und wie sie fehlgegangen sind.[5] Auch die Vermutung von Erasmus, „esse aliquam liberi arbitrii vim“ (AW IV, 8), eben in seiner Vagheit, braucht eine solche Therapie. Luthers Empörung über die Oberflächlichkeit, Uneigentlichkeit, Flüchtigkeit, Zweideutigkeit, Nebensächlichkeit von Erasmus‘ Sprache könnte eine Therapie derselben bedeuten, im Licht der Sache, die Luther sicherer erfaßt. Umgekehrt könnte man von der ruhigen Kritik der hyperbolischen Rhetorik Luthers bei Erasmus Elemente für eine linguistische Therapie der Metaphyik des Reformators entnehmen.
Überwindung der Metaphysik in der Theologie bedeutet, die biblische Sprache und die biblische Phänomene zu schützen gegen mögliche Verfälschungen, die von metaphysischen Denkgewohnheiten entstammen. Die Spätscholastik, gegen die Erasmus und Luther Widerstand geleistet haben, lebt weiter bei analytischen Religionsphilosophen, die glauben, daß es das einzige Geschäft der Theologie sei, metaphysische Rätsel zu diskutieren, und bessere Argumente für die Kompatibilität zwischen der göttlicher Einfachkeit und der Pluralität der göttlichen Attribute, oder zwischen Allmacht und Freiheit, oder Vorherwissen und Kontingenz, aufzufinden.
Erasmus in seiner Ratio verae theologiae (1519) lehrt, daß die Schrift alle dogmata Christi, also die gesamte doctrina christiana enthält. Melanchthon in seinen Loci communes (1521) sucht im gleichen Sinn die wesentlichen theologischen Wahrheiten aus einer Exegese des Römerbriefs zu schöpfen.[6] Erasmus glaubte, auf festem Boden zu stehen, wenn er gegen Luthers Verneinung des freien Willens fast exclusiv von Bibeltexten aus argumentierte. In Luthers gewaltiger Antwort, paradoxerweise, spukt das Gespenst der Metaphysik, und zwar einer schlechten primitiven Metaphysik. Die Verteidiger dieser Schrift finden sich genötigt, diese metaphysischen Elemente abzumildern, um Luther vor sich selbst zu retten und die biblische und phänomenologische Kraft seines Wortes zu verdeutlichen.
Es wäre vermutlich verfrüht, eine Überwindung der Metaphysik bei Luther und Erasmus zu unternehmen. Beide glaubten, die scholastische Metaphysik hinter sich gelassen zu haben. Doch beiden trieben schlechte Metaphysik, die Erasmus in die Nähe des Pelagianismus gebracht hat, weil sie Luther zu furchtbaren Entstellungen der christlichen Botschaft verleitete. Bei Erasmus findet sich eine Mischung von scholastischer Verteidung der contingentia einerseits und vielleicht von embryonischen neuzeitlichen Willensmetaphysik andererseits, beide sehr dünn entwickelt. In seiner Verwerfung von beiden, skizziert Luther eine alternative Metaphysik, die auch nicht genügend reflektiert ist, in der ein scholastisch gefärbter Determinismus mit einem modernen existentiellen Fatalismus sich vermählt. Ich werde im Folgenden drei Bereiche erkunden, wo Luther sehr problematische Behauptungen verteidigt: erstens, seine Beurteilung der menschlichen Freiheit; zweitens, sein metaphysischer Determinismus; drittens, seine Erwägungen über einen verborgenen Gott.
I. Die Freiheitsfrage
Die menschliche Beziehung der Gegner
Erasmus, nach dem rührenden Büchlein von Stefan Zweig, ist keineswegs blind in eine Falle getappt, wenn er dieses Thema als Streitfrage erwählt hat: „so gilt es, eine uneinnehmbare Position zu suchen, und Erasmus wählt sie meisterhaft, indem er nicht unbedacht gegen Luther und die ganze evangelische Lehre anrennt, sondern mit wirklichem Falkenauge einen schwachen oder zumindest verwundbaren Einzelpunkt des lutherischen Dogmas für seinen Angriff erspäht... eine Kernfrage in Luthers noch ziemlich schwankenden und unsicheren theologischen Lehrgebäude.“[7] Luther „dieser berserkerische Kämpfer,“ erwiderte ihm als „geborener und geschworener Fanatiker.“[8] „Den Satan will ich mit der Feder töten,“ schreibt Luther, „wie ich Münzern getötet habe, dessen Blut liegt auf meinem Hals.“ [9]
Erasmus wird gewöhnlich als einer der großen Verlierer in der Geschichte der Theologie gesehen. Charakteristisch für dieses Urteil ist die „Zusammenfassung“ eines mehrbändigen Werkes über Erasmus und Luther von Ernst-Wilhelm Kohls, der mehr bekenntnishaft als wissenschaftlich zu schreiben scheint:
„Der Hauptunterschied zwischen Erasmus und Luther läßt sich nach wie vor in dreifacher Weise zusammenfassen: (1) Erasmus kennt keine festen Behauptungen („assertiones“) im Christentum – für Luther gehören feste Behauptungen zum Grundwesen des Christentums überhaupt. (2) Für Erasmus gibt es keine sichere Offenbarung in der Bibel – für Luther steht fest: In der Bibel ist alles Entscheidende klar offenbart. (3) Erasmus betont den aktiven Glauben (fides activa) und damit folgerichtig den Willen hin bis zum freien Willen (liberum arbitrium), – Luther hat in Übereinstimmung mit der Bibel den passiven, geschenkten Glauben (fides infusa) bezeugt und ebenso folgerichtig vom unfreien Willen (servum arbitrium) gesprochen.“[10]
Dieses Zerrbild ist von Erasmus selber im Hyperaspistes berichtigt worden, doch man achtet nicht auf seine Stimme. Luther selbst hat vermutlich den zweiten Band dieser Selbstverteidung von Erasmus nie gelesen. Wie schelmische Schuljungen haben Melanchthon und er es vorgezogen, Wortspiele über den Titel (von den Psalmen entlehnt) zu machen: aspis kann „Natter“ sowohl als „Schild“ bedeuten, und die Apologia des Rotterdamers wird ohne jeden anderen Grund als ein Erguss von schlängligen Giftes gesehen.
Die detaillierte Kritik von Luthers Schrift, die Erasmus darbietet, dürfte jeden Lutherforscher interessieren, aber sie ist ungelesen geblieben. Im Lichte unseres heutigen Verständnisses der Gefährlichkeit der Leidenschaften in der Theologie, wäre es nicht unangebracht, ein Wiederholungsspiel auszurichten. Solche Verachtung des Gegners dient der Autorität Luthers auch in seinen extrem zugespitzten Aussagen. Man schmeichelt dem Reformator auch, wo er Unrecht tut. Seine eigene Unfähigkeit zur nüchternen Selbstkritik hat solche literarische Katastrophen wie seine hässlichen Äußerungen gegen die Juden 1543 erlaubt.
Erasmus hatte auch nicht viel Erfolg unter den Katholiken. De libero arbitrio erregte keine wirkliche Begeisterung; Thomas More schwieg; Sadoleto entschuldigte sich, nicht die Zeit gehabt zu haben die doch kurze Schrift zu lesen.[11] Die Intervention von Erasmus war zu Recht als halbherzig gesehen, und es war leicht auch seine lange Antwort an Luthers Angriff als motiviert von verletzter Eitelkeit mehr als von theologischem Ernst zu sehen. Man hat seine tiefste, versöhnliche Absicht verkannt oder verhöhnt.
Erasmus hat verloren teils wegen seiner theologischen Schwäche, teils aber wegen der verdorbenen Lage seiner Zeit. „Es hat keinen Sinn, in einem solchen Augenblick des Weltwahns Menschen zur Menschlichkeit aufzurufen, er weiß, seine hohe und erhabene Idee des Humanismus ist besiegt.“[12] Als Luther einen unaufrichtigen diplomatischen Brief an ihn richtet, „mit einer ihm sonst fremden Härte stößt Erasmus die Hand zurück, die seine Welt in Trümmer geschlage, er will den Mann nicht mehr grüßen und kennen, der den Frieden der Kirche zerstört und den furchtbarsten ‚tumultus‘ des Geistes über Deutschland und die Welt gebracht.“[13]
Luther hat nie von Erasmus ablassen können. In einem Brief von 1534 sieht er Erasmus als einen Satan der die Gewißheit der christlichen Botschaft unterminiert. „Hoc unum agit ut suos catechumenos reddat dubios et dogmata fidei suspecta“ (WA.B 7, 13). Paulus „confusum, impeditum, pugnantem sibi, varium, horridum pingit.“ Die Ruhe und Gelassenheit, mit der Erasmus den Inhalt des Apostolicums erklärt, grenzen an ein Spiel. „Dißer glaube ist mehr ein wissenschaft oder merckung dan ein glaub,“ würde Luther sagen (WA 7, 215). In den Tischreden bemerkt er: „Ad doctorem pertinet docere et pugnare, leren vnd weren, erasmus neutrum facit.“[14]
Erasmus hat die Verleumdungen Luthers in einer Purgatio der Epistulam non sobriam Martini Lutheri widerlegt und Melanchthon hat Luther von weiteren Ausbrüchen abgehalten. Man kann Luthers Zorn verstehen, wenn man die sanften und auch verführerischen Worte des Humanisten liest, über „caritatem quae corrigit depravatam voluntatem... fides dictat, caritas exsequitur, velut fidei ministra“ (Opera V, 1135) oder über die Klarheit der Schrift: „quae in illis traduntur, magna ex parte consentanea sunt nativo rationis judicio“ (ib.). In seiner Selbstverteidigung travestiert Erasmus noch ein anderes Thema aus De servo arbitrio, die Glaubensgewißheit: „nullum verbum ambiguum, sed constans et vivida asseveratio.“[15] Solche theoretische Sicherheit hat freilich wenig zu tun mit echtem Glauben.
Als Theologe bleibt Erasmus oft unbefriedigend. Seine spiritualisierende Kritik der Äußerlichkeiten und des Aberglaubens der Kirche und sein Ideal einer ursprünglichen philosophia christiana wirken naiv und flach, wenn man ihnen die Kraft und die subtile Schärfe Luthers, Melanchthons und Calvins gegenübersetzt. Jedoch in seiner friedlichen Rezeption der neutestamentlichen Botschaft wirkt Erasmus recht wohltuend. Er ist mit Melanchthon in diesem ruhigen Glauben verwandt. Beide hören das Wort „Friede“ in dem Grüß der paulinischen Briefen in der gleichen Weise. Ich gebe zwei Zitate: welche stammt von Erasmus, welche von Melanchton? „Est autem pax tum hilaritas et gaudium conscientiae, velut gratulantis sibi condonata esse peccata, tum securitas adversus imminentem iniuriam peccati.“[16] „‚Gratia‘ declarat gratuitam condonationem admissorum, „pax“ quietem et gaudium conscientiae, quod Deum pro irato habemus propitium. “[17] Am Ende seines Lebens schreibt Erasmus an Melanchthon: „Ego non nunc tantum sed perpetuo et theologorum saevitiam pro viribus retundi et principum animos a saeviendo deterrui.“[18]
Wenn wir den Blick zurückwerfen, der Menschenglaube von Erasmus scheint uns viel näher zu sein als die Heilsdramatik Luthers. Der Sieg von Erasmus in der heutigen Theologie wie im protestantischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts, nimmt die Gestalt eines kulturellen Relativismus und Konventionalismus an, in dem jede Aussage und jede Geste des Glaubens, einschließlich der Idee von Gott, nur ein Zitat aus dem Reservoir der Tradition darstellt, das als geeignetes Mittel zum Ausdruck eines tiefen Vertrauens dient. Jede Behauptung ungebrochener biblischen Gewißheit trägt die Züge einer gespensterhaften Restauration. Dieses Bewußtsein gibt der heutigen Theologie eine eigentümlich problematische Natur. Der Glaube selbst ist geschwächt und wandelt sich in eine skeptischere Einstellung. Tiefe religiöse Erfahrungen bestehen noch und machen ihren Anspruch auf letztgültige Wirklichkeit geltend. Doch uns wird mehr und mehr bewußt, daß sie in kulturellen Kontexten eingebettet sind, von denen sie nicht getrennt werden können.
Ein neuzeitliches Freiheitsverständnis?
Trotz jeder Schwäche, behalten die Fragen Erasmus‘ ihre Gültigkeit, ob wir sie als an Luther, oder an die Bibel und den heiligen Paulus, oder an Gott selbst gerichtet verstehen:
„Wenn ich nämlich höre, daß das Verdienst des Menschen so sehr nichtig sei, daß alle Werke auch der Frommen Sünde sind, wenn ich höre, daß unser Wille nicht mehr vermag, als der Ton in der Hand des Töpfers vermag, wenn ich höre, daß alles, was wir tun und wollen, auf absolute Notwendigkeit zurückzuführen ist, wird mein Herz von vielen Zweifeln ergriffen. Zunächst: Wieso liest man so oft, daß die Heiligen, reich an guten Werken, Gerechtigkeit geübt haben, daß sie vor Gott recht gewandelt seien, nicht zur Rechten noch zur Linken abgewichen seien, wenn, was immer auch die Frömmsten tun, Sünde ist, und eine solche Sünde, daß Gott den, für den Christus gestorben ist, in die Hölle stürzen würde, wenn nicht seine Barmherzigkeit zu Hilfe käme? Wieso hört man so oft ‚Belohnung,‘ wo es überhaupt kein Verdienst gibt? In welchem Sinn wird der Gehorsam derer gelobt, die den Geboten Gottes gehorche, und der Ungehorsam derer verurteint, die nicht gehorchen?... Es stört auch jener Gedanke, wozu so viele Ermahnungen, so viele Aufforderungen, so viele Vorwürfe nötig sind, wenn wir nichts tun, sondern Gott nach seinem unabänderlichen Willen alles in uns wirkt, sowohl das Wollen als auch das Vollenden... Warum will er, daß fleißig darum gebetet wird, was zu geben oder nicht zu geben er selbst schon entschieden hat, und er doch seine Entscheidung nicht ändern kann, da er selbst unveränderlich ist.“ (AW IV, 161-3)
Luther hat eine befriedigende Antwort auf diese Fragen kaum gegeben. Er sucht eher die existentiellen Gründe in Erasmus‘ Einstellung ans Licht zu bringen. Luther habe erfasst, sagt man, daß hinter der Vagheit und Bescheidenheit und platten Vernünftigkeit seines Gegners eine neuartige Betonung der menschlichen Autonomie sich profilierte. Das liberum arbitrium, als „eine Kraft des menschlichen Wollens, durch die sich der Mensch dem zuwenden, was zum ewigen Heil führt, oder sich davon abkehren könnte“ (AW IV, 37), anzuerkennen, wäre eine epochale Neuerung. „Insgeheim revolutionär aber ist die Definition des Erasmus insofern, als sie, trotz aller äußeren Abhängigkeit, eine innere Selbständigkeit und Selbsterschlossenheit des Willens annimmt, der in der Lage ist, sich von dem, was als Weg zum ewigen Heil... führt, zu unterscheiden“ und „sich vor allem Bezug auf Gott... auf sich selbst zu beziehen.“ [19] „Revolutionär“ ist zu viel gesagt. Erasmus‘ Definition des liberum arbitrium ist nur ein Zitat aus Origenes, der im dritten Jahrhundert die menschliche Freiheit gegen einen gnostischen Determinismus der „malae naturae“ (De principiis III, 1, 18) schützte.
Die radikalere Auffassung der menschlichen Freiheit bei Pico della Mirandola verdient es eher, als revolutionär gesehen zu werden. „Freiheit heißt für Pico zuerst Unbestimmtheit. Gott weist den Menschen nicht so sehr auf das hin, was er ist, sondern auf das, was er nicht ist, was alles er werden kann.“[20] „An sich weder himmlisch noch irdisch, weder unsterblich noch sterblich, sollte der Mensch sein eigener, freier Bildner und Überwinder sein.“[21] Dieses Ideal der Selbstbestimmung lebt fort im Denken Fichtes und Sartres. Schleiermacher folgt in den Fußspuren Luthers wenn er schreit, an Fichte denkend: „Ein schlechthinniges Freiheitsgefühl kann es... für uns gar nicht geben: sondern, wer ein solches zu haben behauptet, der täuscht entweder sich selbst, oder er trennt, was notwendig zusammengehört. Denn sagt das Freiheitsgefühl eine aus uns herausgehende Selbsttätigkeit aus: so muß diese einen Gegenstand haben, der uns irgendwie gegeben worden ist, welches aber nicht hat geschehen können ohne eine Einwirkung desselben auf unsere Empfänglichkeit, in jedem solchen Falle ist daher ein zu dem Freiheitsgefühl gehöriges Abhängigkeitsgefühl mitgesetzt.“[22] Der Fromme lebt in schlechthinniger Abhängigkeit von Gott, doch diese Abhängigkeit bedeutet eine Befreiung seines Willens. Heute folgt Notger Slenczka in den Fußspuren Schleiermachers, wenn er bei Luther eine Phänomenologie des „angewiesenen“ Willens findet: der Wille und seine Ausrichtung sind nicht in der Hand dessen, der will.
Es ist leicht, solche radikale Autonomie als eine spezifische neuzeitliche Häresie zu überwinden. Doch Luther geht viel weiter, in seiner maßlose Empörung gegen das liberum arbitrium. Die Freiheit, die in Luthers Augen eine Häresie war, ist unsere heutige Orthodoxie geworden. „L’homme est né libre,“ schreibt Jean-Jacques Rousseau in 1762, „et partout il est dans les fers“ (Le Contrat social) – Worte, die heute viel mehr Gewicht besitzen als denen von De servo arbitrio. Wer erinnert sich noch an den Erzbischof Christophe Beaumont oder an den Kardinal Gerbil, die die Erbsünde gegen Rousseau verteidigten? Wer würde der Ansicht Bossuets zustimmen, daß „les hommes naissent tous sujets“? Unser Credo läutet: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain inalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness“ (Declaration of Independence, 4 Juli, 1776). Die Unantastbarkeit der menschlichen Freiheit ist ein zentrales Thema der Verkündigung der Kirchen heute.
Erasmus hatte einen Sinn dafür, daß das Evangelium eine Botschaft der Freiheit darstellt. Luther spricht von der Freiheit des Christen, doch wie versteht er die Wörter des Galaterbriefes: „Zur Freiheit hat Christus uns befreit“ (Gal 5:1)? „Est libertas a lege, peccatis, morte, a potentia diaboli, ira dei, extremo iudicio,“ und alle andere Freiheiten sind nur „stilla, guttula ad maiestatem theologicae libertatis“ (WA 40/II, 3). Diese Freiheit ist negativ bestimmt, in Beziehung auf die überwundene Furcht, und in strenger Unterscheidung von der libertas carnis und der libertas politica. Luther hatte wärmere Tönen gefunden in Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520). Im Jahr des Bauernkrieges ist er nicht mehr so freundlich gesinnt der Freiheit gegenüber.
Die Würde der menschlichen Freiheit
Ein geknechteter Wille, von der Gnade bewegt als wäre er eine Marionette, wäre eine Travestie der evangelischen Freiheit, der „herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ (Röm 8). Erasmus feiert dagegen den befreiten Willen des erlösten Menschen. Er glaubt, daß die dignitas des Menschen und auch die dignitas des Heiligen Geistes fordern, daß die Gnade nur durch Erweckung und Ermächtigung der menschlichen Freiheit operieren sollte. Er folgt Origenes, der die Vielheit menschlichen Charaktere und die dazu entsprechende Vielheit göttlicher Umgänge mit der Menschenseele betont: „Sicut innumerabiles sunt animae,“ schreibt Origenes, „ita et mores earum atque propositum singularum motus et adpetentiae et incitamenta“ (III, 1, 14). Er findet einen pluralistische Geflecht in den Begriffen der griechischen Philosophie (hier, im griechischen Original, êthê, protheseis, kinêmata, hormai, epiboulai). Dieser Pluralismus der Erfahrung ist nicht unversöhnbar mit der Überzeugung, daß alles von Gottes Gnade abhängt, oder daß die Rechtfertung besteht einzig im glaübigen Empfang der Verdienste Christi. Luther seinerseits schreibt: „per spiritum eius servi et captivi sumus (quae tamen regia libertas est), ut velimus et faciamus lubentes quae ipse velit“ (WA 18, 635,15-17); „sind wir wiederum Knechte und Gefangene durch seinen Geist (was allerdings eine königliche Freiheit bedeutet), so dass wir wollen und liebend gern tun, was er will“ (StA I, 291).[23] Hier scheint die Würde der menschlichen Freiheit respektiert zu sein. Leider es folgt das Bild des Zugtieres (iumentum), das sie wieder unterminiert und auch ein manichäisches Gleichgewicht zwischen Gott und Satan impliziert.
Nach Erasmus, lehrt Origenes daß „ut vertamur ad salutem, aut avertamur, nobis in manu est“ (Hyperaspistes II, 1501D).[24] Origenes sagt, „in nostra sit positum potestate vel laudibili nos vitae vel culpabili dedere“ (III, 1, 1). Man könnte, mit dem hl. Hieronymus, in Origenes einen Semi-Pelagianismus hineinlesen. Aber Erasmus kann auch Augustinus mit Empathie zitieren. Er nimmt Abstand von seinem Freund John Fisher, der glaubte, daß der Mensch könnte zu seinem Heil etwas beitragen, „meris naturae viribus“ (1480A). Er erklärt: „Ego nihil tribui libero arbitrio nisi quod se praebet gratiae pulsanti, quod cooperatur gratiae operanti, et quod ab utraque se potest avertere“ (1480B). Augustinische Töne auftauchen am Anfang seines Argumentes wenn er lehrt, daß der gefallene Wille „hactenus depravata fuit, ut suis naturalibus praesidiis non posset sese revocare ad meliorem frugem, sed amissa libertate cogebatur servare peccato, cui se volens semel addixerat“ (AW IV, 40). Freilich, er glaubt, daß die Pelagianer diese Ansicht teilen, und sich vom Augustianismus nur durch die heterodoxe These, daß der Christ „ohne Hilfe einer neuen Gnade das ewige Leben erreichen kann“ (41), sich unterscheiden. Seine Ansicht ist jedenfalls klar: „Wenn ich sage, daß der freie Wille etwas Gutes tue, verbinde ich ihn mit der Gnade; solange er ihr gehorcht, wird er glücklich geführt und handelt; wenn er sich der Gnade widersetzt, verdient er, von ihr verlassen zu werden, und wenn er von ihr verlassen ist, tut er nur Böses, was du hier zugibst“ (AW IV, 415-17). Ist hier ein neutraler, unabhängiger Wille postuliert, der selbst souverän entscheidet, ob er der Gnade oder seinen eigenen Lästern, Süchtigkeiten, Besessenheiten, schlechten Gewohnheiten gehorchen will? Die Unfreiheit des Willens liegt noch tiefer, in der Grundentscheidung wonach man sein Leben richtet. Der erasmianische Wille, bleibt er immer frei, zwischen der stolzen selbstbezogenen Motivation und der Orientierung an Gottes Willen und Reich zu wählen? Nein, Erasmus sieht das der Wille von solcher Gebundenheit nur durch Gottes Gnade gerettet werden kann. Freilich, ihm mangelt Luthers ganz konkreten Sinn für diese tragische Knechtschaft und für wie wenig wir unser Wollen in unseren eigenen Händen haben, wie Notger Slenczka zurecht betont.
Luther ist erschrocken, als er liest, daß Erasmus auch die Frage nach der Rolle der Freiheit im Heilsprozeß zu den unnötigen Spekulationen zählt. In seiner Antwort, Erasmus beteuert, daß „ich beurteile die Frage, ob es irgendeinen freien Willen gibt, so wenig für überflüssig, daß ich es eher für irrgläubig halte, an dem zu zweifeln, was von allen Rechtgläubigen in großer Einmütigkeit überliefert ist“ (AW IV, 257). Aber das Genre der Diatribe selbst gab den Eindruck, daß er wollte die Rolle dieses Willens als quaestio disputata behandeln, in der die Stimme der Pelagianer Gehör findet.
Warum ist dies unerträglich? Nicht weil die Bibel klar darüber entschieden hat, sondern weil der heilige Augustinus und die Kirche es bestimmt haben. Ist nicht dieses die eigentliche Quelle der Gewißheit des ehemaligen augustinischen Mönches? Erasmus will auch glauben, daß die Bibel eine klare Antwort gibt, weil der Heilige Geist „non potest pugnare secum“ (AW IV, 156), doch es scheint, daß auch er die Pluralität und Unausgeglichenheit der biblischen Aussagen untergeschätzt hat.
Luther betont unaufhörlich die Gebundenheit des Willens des Sünders, und gibt dem Gerechten nur eine Freiheit die von Außen her kommt, die Freiheit des passiven Gehorsams, nicht die einer schöpferischen Mitwirkung mit der Gnade Gottes. Daß solche Synergie in loco iustificationis ausgeschloßen sei, wird von Erasmus, von Trient, oder von der neueren katholischen Theologie, nicht ernsthaft bestritten. Doch daß die Gnade wirkt durch und in der schöpferischen menschlichen Freiheit ist die wertvollste Einsicht eines christlichen Humanismus, welche Luther, mindestens in De servo arbitrio, fernhält.
Eilert Herms hat überzeugend gezeigt, daß De servo arbitrio eine Lehre von einer Kooperation zwischen Gott und der menschlichen Freiheit vertritt, doch diese bleibt gedämpft, oder nur implizit als Hintergrund. „All diese ontologischen – theologischen, kosmologischen und anthropologischen – Einsichten werden von dieser Lehre vorausgesetzt und sind in ihr bleibend enthalten.“[25] Dieser Hintergrund bleibt blass in dieser Schrift, und ist thesenartig behandelt als uninteressante „Metaphysik,“ während die Betonung der Nichtigkeit des liberum arbitrium mit größer rhetorischen und existentiellen Kraft dargestellt ist. Herms betont die Zugeständnisse zugunsten des liberum arbitrium, während er die extremste deterministische Äußerungen herunterspielt. Kann man wirklich sagen daß Luther diese Schrift auf die Versuche richtet, „seine Rechtfertigungslehre um deren wesentlichen ontologischen Gehalt zu kürzen.“[26] Er scheint eher seine eigene Ontologie zu verzerren, besonders durch die massive Einführung deterministischer Argumente, um sich von dem gemeinen Menschenverstand des Erasmus entschieden zu unterscheiden. Wenn er das Gemeinsame ihrer Ansichten betont hätte, wie besser wäre es gewesen für die Zukunft lutheranischer und ökumenischer Theologie! Erasmus hat Luthers Zugeständnisse bemerkt, doch er findet sie widersprüchlich: Luther sagt erst, daß das liberum arbitrium hat nur die Kraft zu sünden, und dann, daß „nihil est omnino,“ und endlich, daß „velut renatum liberum arbitrium cooperatur gratiae in bonis operibus, et illa auxiliante potest omnia“ (1480).[27]
Auch wo Luther die Kraft des liberum arbitrium erwähnt, bleibt die Stimmung düster: „vim liberi arbitrii... qua homo aptus est rapi spiritu et imbui gratia Dei, ut qui sit creatus ad vitam vel mortem aeternam“ (18, 636,16-18). Der depressive Alptraum eines prädestinatianischen Determinismus wirft einen langen Schatten. Nur unwirsch und in Nebensätzen braucht er Wörter wie „quo Creatura Deo operanti cooperatur“ (18, 753,21). Er spricht laut und klar um zu behaupten „libertatem nostram nullam esse“ (18, 720,5). Wenn Luther schreibt: „in summis illis et praestantissimis viribus hominum in quibus regnare debet iustitia, pietas, cognitio et reverentia Dei, nempe in ratione et voluntate atque adeo in ipsa vi liberi arbitrii“ (18, 761,33-5), spürt Herms darin keine Ironie. Für Luther sei menschliche Existenz ein „zielbewusstes Wollen und Wirken mit einer dazugehörigen Freiheit des Entscheidungsvermögens.“[28]
Luther benutzt ganz schwache metaphysische Argumente um seine Sichtsweise zu stärken. Wie kann der Wille frei sein, fragt er, wenn Engeln und Menschen „ne momento consistere suis viribus possint“ (WA 18, 662, 12). Als ob es für Gott selbst metaphysisch umöglich wäre, freie Wesen zu schöpfen und zu erhalten! Selbst Adam und Heva, geschaffen im Bild Gottes, hatten keinen freien Willen. Die Geschichte des verlorenen Paradieses wird gedeutet nicht als Verlust des freien Willes sondern als Folge von dessen Abwesenheit. Adam und Heva konnten nicht damit zufrieden sein, daß Gott ihnen keine Kraft der freien Entscheidung im Bezug auf ihrer Beziehung zu Ihm gegeben hatte. Schon die Weimarer Ausgabe bemerkt gegen Luthers Behauptung, „Augustinus... meus totus est“ (WA 18, 640,9), daß Augustin die Notwendigkeit der Sünde Adams leugnete. Luther glaubt die Behauptung der grundlegenden Inexistenz des freien Willens in der Schrift zu finden, doch in Wirklichkeit handelt es sich um eine metaphysische Abstraktion. Erasmus hat hier richtig eine Übertreibung diagnostiziert, und er erkennt daß, wenn Luther sich als Scholastiker gebärdet, dies bedeutet daß er die echte biblische Perspektive verloren hat.
Im Namen eines biblischen Literalismus, wirft Luther ein Grundprinzip christlicher Ontologie weg, nämlich, daß ein guter Gott niemals selbst Böses schaffen oder Sünde begehen kann. Hier haben wir nochmals keine befreiende Überwindung der Metaphysik, sondern eine Gefangenschaft in einer schlechten Metaphysik. Evangelische Gewissheit mit metaphysischer Gewissheit verwechselnd, beschuldigt Luther jeden, der sein Verständnis des Textes in Frage stellt, ein Pelagianer zu sein und an der Allmacht Gottes zu zweifeln. Jeder Einwand gegen die Willkür, die er Gott zuschreibt, wird von ihm nicht als Kritik an ihm selbst behandelt, sondern als Lästerung gegen Gott oder als Versuch den agierenden, freien, souveränen Gott der Bibel durch den Gott des Aristoteles zu ersetzen. Luther hält an seine rigiden Metaphysik fest, um die Geister zu provozieren und zu verärgern. Ihr Unmut wird dann als Zeichen murrenden Ressentiments gegen Gott gedeutet. Die Logik seiner Betonung der Gewißheit und Klarheit der Bibel treibt ihn zu einem fast komischen Dogmatismus. „Ego vero hoc libro NON CONTULI, SED ASSERUI, ET ASSERO, ac penes nullum volo esse iudicium, sed omnibus suadeo, ut praestent obsequium“ (WA 18, 787,11-13). Wie kann man sich dem Verdacht entziehen daß hier die dogmatische Behauptung eine kompensierende Funktion hat und den Mangel an Klarheit in seinen philosophischen Gedanken verdeckt? „Es handelt sich bei der Totalrede also nicht um faktische, sonder um beanspruchte Potenz. Sie spricht zwar vom Sieg, als sei er faktisch bereits errungen – und muß doch den Sieg erst noch erkämpfen.“[29] „Das Ausmaß des Lutherschen Anspruches und seiner nicht selten von Affekten geschürten Aktionen ist allein aus seiner Sache nicht zu erklären.“[30] Erasmus erwidert gelassen am Ende des Hyperaspistes: „Non hic deprecabor lectoris judicium, et exigam obsequium, quemadmodum fecit Lutherus, ses quidquid a nobis dissertum est, Ecclesiae Catholicae submitto, paratus corrigere, si quid excidit a veritate discrepans“ (1536).
Was erreicht er schließlich mit dieser Verneinung des freien Willens? Wollte er Gott als kapriziösen Despot darstellen? Wenn wir mit Schleiermacher Gott als das „Woher“ des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls verstehen,[31] dann kann man ruhig einsehen, daß Gott nicht als Gegenstand des menschlichen Willens erscheint. Die Bibel beschreibt nicht einen despotischen Gott, sondern sie erklärt das universale Existenzverhältnis des Menschen in Bezug auf Gott.
II. Luthers metaphysischer Determinismus
Zwei Arten von necessitas
Thomas von Aquin unterscheidet zwischen einer necessitas absoluta und einer necessitas coactionis, oder einer necessitas consequentiae und einer necessitas consequentis.[32] Was Gott von Ewigkeit beschließt muß sich unfehlbar ereignen, doch im Bereich der sekundären Ursachen bleiben Kontingenz und Freiheit unbetastet. Luther verwirft diesen Unterschied als „vana verba“ (WA 56, 382). Er ist in einen pauschalen Gegensatz von göttlicher Allmacht und menschlicher Freiheit zurückgefallen. Jedoch, in fast unmerklichen Zugeständnissen, scheint er die scholastische Distinktion im Wesentlichen zu teilen, indem er Vorherbestimmung von coactio unterscheidet. Einige Texten lassen denken, daß die Vorherbestimmung ein Determinismus sei, der die gänzliche Verneinung der menschlichen Freiheit einschließt, auch in Widerspruch zum normalen menschlichen liberum arbitrium in dem weltlichen Bereich (in naturalibus), das Luther oft anderswo behauptet, auch hier und da in De servo arbitrio selbst.[33] Die Metaphysik von Thomas kann uns vermutlich heute nicht befriedigen, doch es ist sicher noch weniger befriedigend, sie durch eine schlechte Metaphysik zu ersetzen.
Auch Erasmus spricht verwerfend von den klassischen Distinktionen: „man hätte nicht mit unfrommer Neugier in jene abgründige Bereiche, um nicht zu sagen, überflüssigen Fragen, eindringen dürfen, ob Gott etwas nicht-notwendig vorausweiß (contingenter praesciat)“ (AW IV, 13). Doch er hat sich überreden lassen von seinem Kollege Louis Ber die scholastische Distinktion zu benutzen, um gegen Luther die Freiheit des Judas zu betonen. Die necessitas consequentiae besagt keine necessitas consequentis. Luther scheint die Terminologie zu verhöhnen: „coacti sunt concedere, Omnia quidem necessitate fieri necessitate consequentiae (ut dicunt), sed non necessitate consequentis. Sic eluserunt violentiam istius quaestionis... Si Deus alquid vult, necesse est ut ipsum fiat, sed non est necesse, ut id sit, quod fit“ (WA 18, 616,3-617,4). Dessenungeachtet spricht er seinerseits dem Verräter Judas alle necessitas coactionis ab (WA 18, 720,31-721,4). „Er bejaht vielmehr eine necessitas immutabilitatis oder infallibilitatis ad tempus, die in keiner Weise die Freiwilligkeit des Verrats durch Judas ausschließt“ (AW IV, 293). Erasmus findet hier eine schwache philosophische Idee (1424B) und spottet Luther als Metaphysiker in vielen Stellen (1404F-1405A, 1407B, 1409D, usf.). „Judas volendo tradidit Dominum, fatetur Luther, qui alias docet voluntatem hominis nihil agere nec in bonis nec in malis“ (1424F). Was hat Judas in einen Verräter verändert? Luther würde antworten, „voluntate Dei subtracta gratia.“ Nach Erasmus ist dies noch „quaedam vis“ (1425A). „Judas poterat non suscipere prodendi voluntatem, aut susceptam potuit deponere“ (1425C). Das klingt selbstverständlich, und ist es auch, doch für Luther ist es lauter Blasphemie. Die beide Theologen kokettieren mit ihren scholastischen Gedächtnissen.
Um die Wichtigkeit dieser Frage zu wahren, greift er nach den Waffen der Metaphysik. Er wollt sie nur gelegentlich brauchen, im Dienst der Sache, ohne sich der Strenge der klassischen Logik zu beugen.[34] Er will der scholastischen Terminologie einen konkreten biblischen Sinn geben. Diese Strategie kann zu Zweideutigkeiten und einem „wissenschaftlichen Mangel“[35] führen. Luthers Verdrehung der Metaphysik rächt sich durch eine Verzerrung von seiner Botschaft, welche das monströse Gesicht eines metaphysischen Determinismus annimmt.
Gewiss, es war nicht sein Wunsch eine metaphysische Determinismus-Lehre zu vertreten, und eine geschickte Hermeneutik kann diesen Anschein überwinden, um seine eigentliche Absicht zu verdeutlichen, „nämlich der Wunsch, die absolute Notwendigkeit der Gnade festzuhalten für jeden menschlichen Akt, der irgendwie für das Heil von Bedeutung sein soll (bonum coram Deo) und jede Lehre niederzuschlagen, die den Beginn des Heils oder der Wirksamkeit der in den freien Willen des gefallenen Menschen verlegen will.“[36] Leider „gebraucht er trotzdem ein Argument für seine These vom servum arbitrium, das überhaupt nicht mit der Tatsache zu tun hat, daß der Mensche ein Sünder ist... Der Mensch hat deshalb ein servum arbitrium, weil Gottes unfehlbares Vorherwissen allen Dingen Notwendigkeit auferlegt.“[37] Dieser metaphysische Determinismus hat nichts mit der moralischen Impotenz des Sünders zu tun. Er schädigt Luthers biblische Botschaft. Was hat ihn dazu verleitet?
Kann man Luthers philosophischer Determinismus sauber von seinem theologischen Interesse sondern? „Alles, was wir tun, alles, was geschieht, auch wenn es uns veränderlich und ‚contingenter’ zu geschehen scheint, geschieht in Wahrheit doch ‚necessario’ und unveränderlich, wenn man den Willen Gottes ansieht... ‚Contingenter’ geschehen aber heißt... nicht, daß das Werk selbst ‚contingens’ geschieht, sondern durch einen contingenten und veränderlichen Willen geschieht, wie er in Gott nicht ist“ (WA 18, 615-16). Auch wenn es wahr ist, daß „die gewisse Differenz (mit Augustin) hinsichtlich der Beteiligung des Menschen unbeschadet der ausschließlich durch Gott getroffenen Gnadenwahl fällt für Luther offenbar nicht entscheidend ins Gewicht,“[38] sein Mangel an Klarheit zeigt die Kraft unüberwundener metaphysischer Denkgewohnheiten. Und es ist eine Ironie, daß er den philosophischen Aspekt der Frage so leicht nehmen kann, wo doch „das Problem des menschlichen freien Willens wohl die wichtigste Frage war, an der es zum Bruch zwischen Luther und Rom kam.“[39] Er hat „die Abweichungen des älteren Melanchthon von seiner früheren rigorosen Haltung in der Willensfrage“[40] geduldet, vielleicht weil er verstanden hat, daß die metaphysische These nicht so wichtig und sicher war als er sie in De servo arbitrio vorgestellt hat. Das Unrecht gegenüber Erasmus könnte vieilleicht heute endlich gutgemacht werden im Rahmen des geplanten evangelisch-katholischen Gesprächs über den Lauf der Ereignisse im 16. Jahrhundert.
McSorley betont, daß Luther keine totale Vernichtung des freien Willens lehrt. Das liberum arbitrium „sternitur et conteritur penitus“ (WA 18, 615,15), „zu Boden geworfen und mit Füßen in den Staub getreten,“ d.h. „auch der freie Wille muß sich als demütiger Untertan von Gottes Allmacht betrachten.“ [41] Luther ist schliesslich gleichgesinnt mit Boethius und Thomas, auch wenn er den Sinn der Unterscheidung zwischen necessitas aboluta und necessitas conditionata verkannt hat. „Gibt er nicht der Sache nach die Unterscheidung zu, wenn er sagt: ‚omnia quae facimus... etsi nobis videntur mutabiliter et contingenter fieri, revera tamen fiunt necessario et immutabiliter, si Dei voluntatem spectes‘?“[42] Statt sie zu tünchen, wäre es besser, diese deterministische Behauptungen klar ans Licht zu stellen, weil sie einer Konfusion, die die ganze Theologie Luthers durchzieht und die schwere Konsequenzen gehabt hat für das ökumenischen Verständnis, stammen.
Melanchthon spricht auch ironisch über die „stoische Notwendigkeit“ der Theologen von Genf,[43] doch in den Augen Calvins bedeutet die Reserve Melanchthons gegen die Erforschung der Prädestination einen Rückfall in philosophische Spekulation.[44] Luther selbst, von 1528 an, sucht die prädestinatianischen Exzesse der Schrift gegen Erasmus zu berichtigen oder zu widerrufen. Er hätte „die praedestinatianische Consequenzen seiner deterministischen Anschauung aufgegeben.“ Er hält sich nicht mehr an der „Lehre von der unbedingten Gnadenwahl,“[45] und sucht die beunruhigende Lücke zwischen dem offenbarten und dem verborgenen Gott zu schließen. Glauben „daß Gott nicht Jedermann die Seligkeit gönne,“ sagt er jetzt, ist verzweifelt oder gottlos.[46] Karl Barth hat eine echt biblische Phänomenologie aus dieser verwickelten Tradition geschöpft, ohne Gott einem logischen Muster wie der gemina predestinatio zu unterordnen. McSorley ist ein wenig naiv wenn er schreibt: „Es ist schwer zu verstehen, wie ein christlicher Prediger es vernachlässigen kann, von der Erwählung und Berufung zu sprechen, wenn sich Gott selbst als den Gott offenbart hat, der erwählt und beruft, wie es ihm gefällt.“[47] Der Glaubender schaut auf Christus und findet in ihm die Gewißheit der göttlichen Erwählung. Eine Verkündigung, die diesen Zuversicht skeptisch unterminiert, muß problematisch sein. Die Gewißheit ist nicht eine epistemologische Versicherung, sondern bezieht sich auf das Werk des Erlösers, dessen Früchte immer zugänglich sind.
Melanchthon unterscheidet die Ansicht Luthers von einem Determinismus. Eine ganze Reihe von Apologeten haben Luther vor ihm selbst gerettet, indem sie die metaphysische Behauptungen von De servo arbitrio im Licht ihrer grundlegenden biblischen Absicht gedeutet haben. Bernhard Lohse schreibt: „Der Glaube, daß Gott alles vorher weiß und vorher ordnet, ist nur von dem christologischen Artikel her zu verstehen,“ wie der Schlußabschnitt von De servo arbitrio zeigt.[48] Ist das wirklich so? War Erasmus unfähig „die strikt theologische Argumentation Luthers zu verstehen“?[49]
Die Apologeten Luthers machen aus dem sehr unruhigen Charakter des Textes eine Tugend. Aber man sollte ihn als Symptom verstehen. Luthers problematische Behauptungen leiden an ungelösten Aporien und Verwirrungen. Diese sind mehr als eine Schwierigkeit des Ausdrucks. Sie bedeuten, daß wenn er sein Denken bis zu seinem tiefsten Grund voranzutreiben sucht, er sich in metaphysischen Rätseln verwickelt, die eigentlich keinen Platz in seiner biblischen Theologie haben sollten.
Das Urteil Karl Barths über De servo arbitrio ist einfach, aber überzeugend: der Satz vom geknechteten Willen ist nicht eine Entscheidung im Sinne des Determinismus: „daß das in Luthers De servo arbitrio nicht klar wird, ist der Einwand, den man dieser berühmten Schrift, den man aber auch den Konzeptionen Zwinglis und Calvins gegenüber nicht unterdrücken kann.“[50]
Die Unstetigkeit Luthers in seiner Einstellung zur Metaphysik erzeugt einige bestürzenden Schwächen von De servo arbitrio. Für Luther und besonders für Melanchthon bedeutet der Pelagianismus ein Vertrauen auf die philosophische Vernunft im Gegensatz zum Gehorsam des Glaubens.[51] Auch das sanitative Verständnis der Rechtfertigung bei Augustinus schien ihnen noch zu rationalistisch.[52] Die Rechtfertigung als freier Akt des göttlichen Erbarmens ist ein unverfügbares Ereignis, ein lauter Anfang, die nicht unter einen philosophischen Begriff zu bringen ist. Die Prädestination und der ewige Ratschluß Gottes sind für Calvinisten das Siegel der Gratuität dieses Ereignisses, für manche Lutheraner eher ein Rückfall in die Suche nach metaphysischen Gründen. Ich nenne nur ein Beispiel: Luthers Exegese von Ex 9,12: „Der Herr verstockte das Herz des Pharao.“ Aller mildernder Hermeneutik zum Trotz will er diesen Text wortwörtlich verstanden. „Inhaerendum est simplici puraeque et naturali significationi verborum“ (WA 18, 700,33-4); „an dem einfachen und reinen und natürlichen Sinn der Worte festzuhalten“ (StA I, 443). Erasmus kritiziert diesen starren Literalismus, doch sein eigener Mangel an existentieller Betroffenheit gibt seinen Einwänden den Schein einer Strategie, die die Kraft des göttlichen Wortes zu meiden sucht.
Die Gedanken Luthers sind geleitet nicht nur vom Glauben an das Wort Gottes sondern auch von einem Verlangen nach metaphysischer Kohärenz und Gewißheit. Seine Systematisierung der Rolle des Gesetzes, als nur das negative Werkzeug des opus alienum Gottes, steht in Widerspruch zum ganzen Alten Testament, wie Erasmus ohne Mühe zeigt.[53]
Der Einfluß Lorenzo Vallas
Die Frage der Freiheit des menschlichen Willens und des scheinbaren Widerspruchs zwischen dieser Freiheit und dem göttlichen Allwissen war in klassischem metaphysischen Stil bei Boethius behandelt worden. Gott weiß alles, doch dieses ewige Wissen ändert nichts an der kontingenten bzw. freien Natur zeitlicher Vorkommnisse. Lorenzo Valla sieht die Lösung Boethius als schwache Abstraktion und beklagt die Rolle, welche die Philosophie in theologischen Sachen gespielt hat. „Ich würde es sehr begrüßen... daß die Christen generell, besonders aber diejenigen, die man Theologen nennt, der Philosophie nicht so große Bedeutung beimäßen, nicht so viel Mühe auf sie verwendeten und sie nicht zu gleichberechtigter Schwester, um nicht zu sagen zur Herrin der Theologie machten.“[54] Doch Valla selbst treibt Metaphysik in einem Stil, der nicht so fern von Boethius liegt. „Daß nämlich Gott etwas, das von einem Menschen getan werden wird, vorherweiß, bedeutet nicht, daß es mit Notwendigkeit getan wird, denn es wird willentlich getan.“[55] „Wenn ich Gott befragte was ich im nächstem Moment tun wird, ‚was würde er also antworten?‘ ‚Sicherlich das, was du tun würdest, aber so, daß du es nicht hörtest.‘“[56] „Wenn du hörtest oder mit Sicherheit wüßtest, was du nach seiner Vorhersage tun wirst, du würdest dich – sei es aus Liebe zu ihm oder aus Furcht vor ihm – beeilen, das zu tun, was er nach deinem Wissen vohergesagt hätte.“[57] Diese fantastischen Szenarien verraten die Unwirklichkeit solcher Spekulation. Sie verraten, daß Gott, was immer er ist, nicht verfügbar ist als Figur in solchen Argumenten. Ein metaphysisches Denken, das uns zu solchen Fantasien benötigt, ist ohne wirkliche Kraft. Vielleicht hat Valla absichtlich die Schwäche solches Räsonnements aufgeweist.
Für Valla sind Vorherwissen und Vorhersagen zwei verschiedene Sachen. Doch könnte nicht ein allwissender Gott uns ständig offenbaren was wir im nächstem Moment tun würden, und würde das nicht erlebt als Beweis der Inexistenz des freien Willen? Ein Ausweg an den Valla sich nicht zu denken elaubt, wäre dieses: Schranken zu setzen an die Allwissenheit Gottes. Zeitliche Vorkommnisse könnten dann Gott selbst überraschen. Er sucht auch nicht das anthromorphistiche Bild von Gott in Frage zu stellen. Er berichtet über Sextus Tarquinius, der Apollo anklagt, weil er ihm eine schlechte Zukunft voraussagt, und der zweitens Jupiter anklagt, weil er in der Tat diese Zukunft entschieden und vorausbestimmt hat. Kann man sagen, daß Valla „die Ebene der begrifflichen Erörterung verlassen hat und konkret – exemplarisch und damit im Bereich zumindest möglicher Erfahrung argumentiert“?[58] Die mythologischen Szenen verraten vielmehr nochmals wie weit dieser Kreis von Fragen vom wirklichen Leben entfernt ist. „Da die Weisheit Gottes nicht von seinem Willen und von seiner Macht getrennt werden kann, habe ich sie in diesem Gleichnis von Apollo und Jupiter getrennt, um, was ich mit dem einen Gott nicht zu erreichen vermochte, mit den beiden zu erreichen.“[59] Nochmals fragt man sich, ob Valla absichtlich die Unwirklichkeit solcher Argumente zeigt. „Aber was macht es für einen Unterschied, auf welche Weise du den freien Willen aufhebst? Du leugnest zwar, daß es vom Vorherwissen aufgehoben werde, behauptest aber, er werde vom Willen aufgehoben, womit die Frage wieder von vorne beginnt.“[60] Tatsächlich, Valla hat die Freiheit von der Vorherwissen gerettet um sie der Vorherbestimmung aufzuopfern. Gottes aktive Vorherbestimmung ist in Widerspruch mit ihr, so daß am Ende die Wirklichkeit der Freiheit verleugnet oder am besten als eine ungelöste Frage gesehen wird.
Valla zitiert einen langen Passus aus Paulus, Römer 9, 11-21, als Bestätigung, daß der Widerspruch zwischen Allmacht und Freiheit unlösbar sei für das menschlichen Denken. „Nun aber legt er uns keine Notwendigkeit auf, noch raubt er uns die Freiheit des Willens, wenn er den einen verstockt und des anderen sich erbarmt, da er dies in größter Weisheit und größter Heiligkeit tut. Den Grund aber dafür hat er gleichsam in einer geheimen Schatzkammer niedergelegt und verborgen.“[61] Hier sind wir endlich ganz entfernt von der Boethianischen Vernünftelei. Vallas Urteil über Boethius und dessen Vertrauen auf der Philosophie antizipiert das von Luther über Erasmus: „Denn erstens sagt Paulus: ‚Es liegt nicht an des Menschen Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen‘ (Römer 9, 16). Boethius aber kommt in seiner gesamten Diskussion, nicht wörtlich, aber der Sache nach, zu dem Schluß: Es liegt nicht an der Vorsehung Gottes, sondern am Wollen und Laufen des Menschen. Zweitens genügt es nicht, über die Vorsehung Gottes zu sprechen, wenn man nicht über sein Wollen spricht.“[62]
Vallas Dialog ist ein harter Schlag gegen die philosophische Selbstgenügsamkeit von Boethius, und der hinter ihm stehenden Selbstgenügsamkeit des Aristoteles. Demut vor dem unerforschlichen Mysterium Gottes, und Vertrauen auf Christus, ist der Pfad, der sich öffnet, wenn unser Denken von der Philosophie im Stich gelassen ist.[63] Valla teilt einen Sinn für die Unverfügbarkeit Gottes und seines Willens. Doch seine Perspektive darauf bleibt eine philosophische – der unlösbare Widerspruch zwischen göttlicher Vorherbestimmung und menschlicher Freiheit, den er betont, hat im Grunde wenig mit biblischer oder paulinischer Einsicht zu tun. Die Abgründe der Prädestination sind eher eine metaphysische Konstruktion als biblische Offenbarung.
Luther lobt bei Valla „die Standhaftigkeit und den unverfälschten Eifer um den christlichen Glauben“ (WA 6, 183). Erasmus liest ihn als einen gewöhnlichen Verteidiger der Harmonie von Allwissen und contingentia: „Und dennoch behaupten die Theologen, die erörtern, ob Gott etwas nicht-notwendig vorausweiß, beständig was du behauptest, daß das Vorauswissen Gottes sich nicht täuschen könne... und glauben nicht, daß wegen eines Ereignisses, das nicht-notwendig eintritt, die Sicherheit des göttlichen Vorauswissens gefährdet werde, was Laurentius Valla geschickt erklärt hat. Aber jene definieren den Begriff ‚kontingent‘ ein wenig richtiger als du“ (AW IV, 351).
Melanchthon folgt Valla in seinen Loci communes von 1521, „wo er den von Luther übernommenen Gedanken der göttlichen Alleinwirksamkeit in deterministischer Weise zuspitzt,“[64] aber er tadelt ihn in der letzten Auflage der Loci: „Valla und die meisten Andern sprechen dem Willen des Menschen deswegen die Freiheit ab, weil alles durch die Entscheidung Gottes geschieht. Diese aus stoischen Erwägungen überkommene Vorstellung hat sie verleitet, die Zufälligkeit... aufzuheben... Ich habe aber oben gesagt, daß jene stoische Anschauungen nicht in die Kirche gebracht werden sollen... Vielmehr muß eine gewisse Freiheit [aliqua contingentia] zugegeben werden... Die Erörterung über die göttliche Bestimmung [determinatio divina] darf nicht mit der Frage nach dem freien Willen [liberum arbitrium] verquickt werden.“[65] Luther würde Melanchthon zustimmen, doch er hatte in seinem Eifer, die metaphysische Selbstgenügsamkeit Erasmus‘ zu verwerfen, in De servo arbitrio eine sehr irreführende Rhetorik benützt.
Der verborgene Gott
Luther sucht hinter den Phänomenen der biblischen Offenbarung eine versteckte Kulissen-Geschichte. „Anders ist über Gott oder über den Willen Gottes zu disputieren, der uns gepredigt, offenbart, dargeboten und von uns verehrt wird, und anders über Gott, der nicht gepredigt, nicht offenbart, nicht dargeboten, nicht verehrt wird. So weit also Gott sich selbst verbirgt und von uns nicht gekannt werden will, geht er uns nichts an. Hier hat wahrlich jenes Wort Geltung: ‚Was über uns ist, geht uns nichts an‘“ (WA 18, 683,3-6). Es folgt eine exzentrische Exegese von 2 Thess 2,4, die Erasmus gut kritiziert. Dies ist ein hilfloser Versuch eine Übersteigung des offenbartes Gottes in der Schrift zu finden. Anderswo feiert Luther den „fröhlichen Wechsel“ wodurch Christus unsere Sünde annimmt um mit uns seine Gerechtigkeit zu teilen. Doch als ob diese frohe Botschaft nur die Oberfläche war, betont er jetzt, daß „man auseinanderhalten muß den Gott, der mit uns im Wechsel und Tausch steht, insofern er verkündigt und verehrt wird und den Gott, der nicht verehrt und verkündigt wird, d.h. den Gott wie er in seiner Natur und Majestät ist“ (18, 685,10-13).[66]
Man kann sich über den gepredigten Gott erheben „aber über den Gott, der nicht verehrt, nicht gepredigt wird, wie er in seiner Natur und Majestät ist, kann nichts sich erheben, sondern alles ist unter seiner mächtigen Hand. Belassen werden muss also Gott in seiner Majestät und Natur, denn so haben wir nichts mit ihm zu schaffen, und er wollte nicht, dass wir so mit ihm zu schaffen haben. Vielmehr, insoweit er mit seinem Wort umkleidet und dargeboten ist, womit er sich uns darbot, haben wir mit ihm zu schaffen, was sein Schmuck und sein Ruhm ist, mit dem umkleidet ihn der Psalmist feiert. So sagen wir: Der treue Gott beweint nicht den Tod des Volkes, den er in ihm bewirkt. Sondern er beweint den Tod, den er im Volk findet, und trachtet, ihn abzuwenden. Das nämlich tut der gepredigte Gott, dass er Sünde und Tod wegnehme und wir heil seien. Denn er sandte sein Wort und heilte sie. Im Übrigen beweint der in seiner Majestät verborgene Gott weder den Tod noch hebt er ihn auf, sondern wirkt Leben, Tod und alles in allem. Denn da hat er sich ja nicht in seinem Wort festgelegt, sondern sich frei bewahrt über allem... Vieles tut Gott, was er uns durch sein Wort nicht anzeigt. Vieles auch will er, von dem er in seinem Wort nicht anzeigt, dass er es will... Wir aber müssen jetzt auf das Wort achten und jenen unerforschlichen Willen beiseite lassen... Also wird richtig gesagt‚ ‚Wenn Gott nicht den Tod will, ist es unserem Willen anzurechnen, dass wir zugrunde gehen.‘[67] Richtig, sage ich, wenn du von dem gepredigten Gott sprichst! Denn der will, dass alle Menschen selig werden... Aber: Warum jene Majestät diesen Fehler unseres Willens nicht aufhebt oder in allen ändert..., oder warum er ihm jenen anrechnet..., danach zu fragen ist nicht erlaubt“ (WA 18, 685,12-686, 11; StA I, 405-7).
„Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis“ (1 Joh 1, 5). Wenn man sagte, daß dieser Text nur vom geoffenbarten Gott spricht, würde das nicht eine radikale Zerstörung des Christentums bedeuten? Luther würde sagen, „Ich bin verpflichtet zu glauben, er sei Licht, doch wenn ich denke an seinem verborgenem Gesicht, ich bin versucht von dem Gedanken, er sei Finsternis.“ Er ängstigte sich über die Prädestination: „Ego ipse non semel offensus sum usque ad profundum et abyssum desperationis“ (WA 18, 719,9-10), in Erwartung des lumen gloriae in dem wir verstehen werden, „quomodo Deus damnat eum, qui non potest illis suis viribus aliud facere quam peccare et reus esse“ (18, 785,30-1). „Hic est fidei summus gradus (!), credere illum esse clementem, qui tam paucos salvat, tam multos damnat, credere iustum, qui sua voluntate nos necessario damnabiles facit“ (18, 633,15-17).
Dieser schreckliche Gott kann kaum wirklich verborgen sein, wenn wir so viel über seine Aktivität wissen. Und wovon wissen wir das? Wenn von der Schrift, dann handelt es sich vom geoffenbarten Gott, oder von einem Widerspruch zwischen zwei Gesichtern des biblischen Gottes. In seinem Ringen mit diesem Widerspruch, wird Luther ein Held des Glaubens. Doch es scheint, daß wir nicht verpflichtet sind, diese besondere Art Heldentums nachzuahmen. Wie Pascal und Kierkegaard hat er vermutlich sich viele unnötige Sorgen und Ängste geschafft. Die Schrift selbst ladet uns ein, diesen Widerspruch zwischen zwei Gesichtern Gottes zu lösen. Der Unterschied zwischen den Guten und den Schlechten in den biblischen Szenen von Gericht ist jemals in Bezug auf die eine göttliche Gerechtigkeit geschafft. Der Akzent ist überdies an die positive Seite gelegt. Die heilsuniversalistische Hoffnung, die sich durchgesetzt hat im modernen katholischen Denken und auch in der Barthischen Theologie, hat tiefere Wurzeln als die einfache Reflexion, daß wenn viele Seelen verlorengehen, die Erlösung ein Flop war und das Evangelium ein Dysangelium. Der Glaube an einem Gott, der sich als „Licht“ und „Liebe“ offenbart, der nicht lügen kann, und der wollt daß alle Menschen gerettet werden, muß alle andere Bilder von Gott, die von unserer Angst erzeugt sind, überwinden, auch wenn sie von dem Buchstabe der Bibel legitimiert zu sein scheinen können. Wenn, bei Luther, der sogenannte verborgene Gott den offenbarten Gott überwindet, bedeutet das nicht einen Rückfall in uralten Vorstellungen eines primitiven Heidentums?
Notger Slenczka verteidigt die Idee des verborgenen Gottes mit dem Argument daß sie stammt nicht von metaphysischer Konsequenzmacherei aber von einer tiefen Erfahrung des Geheimnis des Übels. Aber der Manichäismus und die Gnosis kämen auch von tiefen existentiellen Erfahrungen. Augustin betont, daß alles was ist, insofern es ist, gut muß sein, und daß das Übel folglich keine wahre Existenz besitzt. Leider hat er diese gesunde Metaphysik in seinen antipelagianischen Schriften wieder aus dem Blick verloren. Das Phänomen der Verborgenheit Gottes, wie es in der Bibel erscheint, in der Finsternis Golgothas, verweist auf kein anderen Gott als den dessen Licht in dieser Finsternis unbesiegbar leuchtet. Gott als Richter unserer Sünden verstellt sein gnädiges Gesicht unter die Züge des Zornes. Luther heißt das das opus alienum dei. Doch das Wort des Gesetzes sowie das Wort des Evangeliums offenbaren denselben Gott.
Daß Gott auch die Verbundenheit unseres Willens positiv bestimmt, wie in der Geschichte von der Verstockung Pharaos, scheint mir nicht vertretbar. Die biblische Vorstellungen mußen gedeutet sein mit Bezug an die Ohnmacht und Selbstverhaftung des Sünders, wie Origenes und Erasmus es tun. Wie der Buddhismus und auch die Psychoanalyse lehren, sind wir alle unbewußt im Griff der „drei Gifte,“ der Abhängigkeit, der Abneigung und der Täuschung, gefangen. Wo ist Gott in Bezug auf diesen geistlichen Ketten zu stellen? Ist er nicht der, dem wir begegnen wenn wir den Weg zur spirituellen Freiheit wiederfinden, und der diesen Weg uns eröffnet? Das Gesetz halt uns gefangen in Schuld und Ohnmacht, nicht um unsere Freiheit ewig gebunden zu halten, sondern mit der Absicht unsere Ketten zu brechen, als es uns zum Erlöser führt. Darum ist er relativ lind als Pädagoge beschrieben (Gal 3, 23-5). Thomas von Aquin betont, daß Gott weder direkt noch indirekt Ursache der Sünde sein kann. Er ist die Ursache unserer Erwählung, doch „defectus gratiae prima causa est a nobis“ (Summa theologiae, II-II, q. 112, a.3, ad 2).[68] Diese Asymetrie in der Prädestination
Nochmals, was hat Luther zu solchen gefährlichen Gedankenpfaden verleitet? Die Antwort bleibt dieselbe, nämlich, ein unzulässiges Eindringen metaphysischer Denkweisen ins Herz des Glaubensverständnisses. In der Tat, ist die Unaussprechlichkeit Gottes ein metaphysischer Begriff platonischer Herkunft. Luther erliegt noch einmal einer schlechten Metaphysik wenn er zur biblischen Verborgenheit Gottes eine noch tiefere Verborgenheit hinzufügt, die möglicherweise Gottes offenbartem Gesicht widersprechen könnte. Er fällt ab vom Gott der klar in seinem Wort sich offenbart, weil er auf ein „tieferes“ Fragen nach dem letzten Grund dieser Offenbarung nicht verzichten kann. Das glaübige Denken am letzten Grund darf nur den Linien des biblischen Wortes folgen, die zurückweisen ins gnadenvollen Geheimnis des liebenden Vaters. Wir dürfen diese Tiefen nur vag und unbestimmt vorstellen, wie bei Schleiermacher. Denken wir ruhig an Gott als das „Woher“ unseres Seins, an dessen absoluter Güte zu zweifeln radikal unsinnig wäre. Die biblische Worte über Gott, besonders die Texte in Römer 9-11, die, von Augustin an, so viel prädestinatianische Grübelei genährt haben, mußen in der Perspektive dieser unbezweifelbaren Güte gedeutet werden. Auch finstere Seiten der Bibel, wie Johannes 8, mußen überwindet worden, als wir das gnädige Antlitz des einen Gottes immer besser zu erkennen lernen.
[1] Der junge Heidegger hat sich gründlichem Studium der Scriften Luthers und der Dogmengeschichte Harnacks gewidmet.
[2] Maximen und Reflexionen n. 993, zitiert, Martin Heidegger, Die Sache des Denkens (Tübingen: Niemeyer, 1976), 72. „Dies will heißen: Das Phänomen selbst, im vorliegenden Fall, die Lichtung, stellt uns vor die Aufgabe, aus ihm, es befragend, zu lernen, d.h. uns etwas sagen zu lassen.“
[3] Zitiert (mit Auslassung des Kommas und des Doppelpunktes), Martin Heidegger, Der Satz vom Grund (Pfullingen: Neske, 1956), 209. Die Zitat folgt dem Satz: „Darauf kommt es an, daß die Gewalt des Anspruches auf das Warum sich dem großvermögenden Zuspruch des Weil fügt.“
[4] Ludwig Wittgenstein, Über Gewissheit (Frankfurt: Suhrkamp, 1984), 127.
[5] Für eine klare Demystifikation des freien Willens, die ihn zu alltäglichen Phänomenen und ihrer sprachlichen Erläuterung zurückruft, siehe Peter Bieri, Das Handwerk der Freiheit: Über die Entdeckung des eigenen Willens (München: Carl Hanser, 2001).
[6] Siehe Jan Rohls, „Aristotelische Methodik und protestantische Theologie von Melanchthon zu Zabarella,“ in: Günter Frank und Herman J. Selderhuis, hsg., Melanchthon und der Calvinismus, Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 9 (Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog, 2005), 75-105; bez. 82-85. Melanchthons Lokalmethode bliebt bestimmend in der lutheranischen Theologie bis ins 17. Jahrhundert hinein und was einflussreich auch in der reformierten Theologie. Später kommt die „analytische“ Methode zum Vorschein in der lutheranischen Orthodoxie, die sich als praktische Heilslehre versteht, während die reformierte Theologie entwickelt, von Theodor Beza an, eine mehr theoretisch orientierte „synthetische“ Methode (diese Terminologie stammt von Jacopo Zabarella), die sich auf der aristotelischen Ursache-Logik stützend von den ewigen göttlichen Dekreten seinen Anfang nimmt. Die biblische theologie gewinnt also eine zunehmend metaphysische Form.
[7] Stefan Zweig, Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam (1935) (Frankfurt: S. Fischer, 1982), 153.
[8] Ebd., 159, 156.
[9] Zitiert, ebd., 159.
[10] Ernst-Wilhelm Kohls, Luther oder Erasmus II (Basel: Friedrich Reinhardt, 1978), 182-3.
[11] „Librum tuum adhuc non legi; nam neque cum habui eius potestatem et eram maximis occupationibus impeditus. Certus sum attament similem eum esse reliquorum tuorum, quae mihi plurima et lecta et probita sunt“ (Erasmi Epistulae, hsg., Allen, no. 1511, V, 574).
[12] Zweig, 170.
[13] Ebd., 167.
[14] WA. TR 3, 260; siehe Cornelis Augustin, Erasmus. Der Humanist als Theologe und Kirchenreformer (Leiden: Brill, 1996), 293-8. Luther scheint bedroht zu sein von Erasmus‘ modernem kritischen Bewußtsein: „‚Das dich Gott straffe, Satan‘ (WA 60, 215). Der letzte Kommentar bezieht sich auf eine Stelle, wo Erasmus vorsichtig die Möglichkeit offenläßt, daß auch die Heiden auf irgendeine Weise das Heil efhofften“ (Augustin, 294). „‚Machs alles ungewis‘ bemerkt er zu einer Stelle, wo Erasmus darauf hinweist, das es Unterschiede gibt zwischen griechischem Text und Vulgatatext (WA 60, 220)“ (ebd., 297).
[15] Hsg., C. Augustijn, in Erasmi Opera IX 1 (Amsterdam: North-Holland Publishing Company, 1982), 446.
[16] Melanchthon zu 1 Cor., Sommer 1521; Melanchthons Werke IV, hsg. Peter F. Barton (Gütersloh: Gerd Mohn, 1963), 16-17.
[17] Erasmus, Ciceronianus (1528), Ausgewählte Schriften, VII (1972), 98. Theresia Payr übersetzt wie folgt: „‚Gnade‘ bedeutet die aus freier Huld gewährte Vergebung der Sünden, ‚Friede‘ die Seelenruhe und das freudige Bewußtsein, daß Gott uns nicht zürnt, sondern gnädig ist“ (ebd., 101).
[18] Erasmi Epistulae, hsg. Allen, IX, 2.
[19] Dietrich Korsch, Dialektische Theologie nach Karl Barth (Tübingen: Mohr Siebeck, 1996), 7.
[20] E. Monnerjahn, zitiert, Bernhard Lohse, „Marginalien zum Streit zwischen Erasmus und Luther,“ in ders., Evangelium in der Geschichte: Studien zu Luther und die Reformation (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1988), 118-137; p. 122.
[21] Lohse, 122.
[22] Friedrich Scheiermacher, Der christliche Glaube (1830/31), hsg. Martin Redeker (Berlin: de Gruyter, 1999), I, 27-8.
[23] Martin Luther, Lateinisch-Deutsche Studienausgabe, I, hsg., Wilfried Härle u. a. (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2006).
[24] Erasmus, Opera Omnia (Leuven), X.
[25] Herms, „Opus Dei gratiae: Cooperatio Dei et hominum. Luthers Darstellung seiner Rechtfertigungslehre in De servo arbitrio,“ Lutherjahrbuch 78 (2011):61-135; 62.
[26] Ebd., 63.
[27] Schon in der Diatribe bemerkt er, daß Luther „der vorher noch einiges dem freien Willen zuschrieb, in der Hitze der Verteidigung dazu getrieben [wurde], ihn gänzlich zu beseitigen,“ AW IV, 170.
[28] Herms, 86.
[29] Dietrich Kerlen, Assertio: Die Entwicklung von Luthers theologischen Anspruch und der Streit mir Erasmus von Rotterdam (Wiesbaden: Franz Steiner, 1976), 363.
[30] Ebd., 370.
[31] Der christliche Glaube, I, 28-9.
[32] Über die sehr begrenzte Nützlichkeit dieses Unterschiedes, siehe Cyrille Michon, Guillaume d’Ockham: Traité sur la prédestination (Paris: Vrin, 2007), 20-1. Sie taucht wieder auf in Bucer und Calvin: „Freiheit schließt danach Notwendigkeit nicht aus. Ist doch Gott höchste Freiheit, des gleichwohl notwendigerweise immer das Gute will Durch die Prädestination wird der Mensch von Gott auf diese heilsame Spur göttlicher Notwendigkeit gesetzt“ (Marijn de Kroon, Martin Bucer und Johannes Calvin, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1991, 32).
[33] Siehe Harry J. McSorley, Luthers Lehre vom unfreien Willen (München: Hueber, 1967), 217-220.
[34] „Es wäre sehr weit von der Wirklichkeit entfernt zu glauben, er schreibe nur als biblischer Theologe oder nur in einer personalistischen oder existentiellen und nicht auch verobjectifierende Terminologie“ (ebd., 278).
[35] Theodor Harnack, Luthers Theologie, II (Erlangen, 1886; Nachdr., Amsterdam: Rodopi, 1969), 4.
[36] McSorley, 280.
[37] Ebd., 284.
[38] Lohse, 135.
[39] Ebd.
[40] Ebd., 137.
[41] McSorley, 289.
[42] Ebd., 290.
[43] Melanchthon schreibt an seinem Schwäger: „O rem miseram! Doctrina salutaris obscuratur peregrinis disputationibus“ (Corpus Reformatorum 7:931-32)..
[44] Siehe Timothy J. Wengert, „‚We Will Feast Together in Heaven Forever‘: The Epistolary Friendship of Jean Calvin and Philip Melanchthon, “ in: Karen Maag, hsg., Melanchthon in Europe (Grand Rapids, MI: Baker, 1999), 19-44; 31.
[45] Th. Harnack, II, 4; I, 287.
[46] Ib., I, 237, mit Bezug auf einer Predigt von 1540..
[47] McSorley, 282.
[48] Lohse, 133.
[49] Ebd., 133-4.
[50] Kirchliche Dogmatik IV/2:559. Barth betont die Freiheit der erlösenden Tat Christi: „Und in ihm leben als Menschen desselben freien Willens auch wir“ (558).
[51] Siehe Timothy J. Wengert, „Philip Melanchthon and Augustine of Hippo“, Luther Quarterly 22 (2008):249-67; 251-52, 256, 258.
[52] Ebd. 257. Viele Theologen imputieren dieses Verständnis zu Luther selbst in Gegensatz zu Melanchthon.
[53] E. P. Sanders behauptet, daß im Judaismus seiner Zeit, und auch im Judaismus wie Paulus ihn versteht, „das Heil kommt von Gnade...; die Werke sind die Bedingungen des Bleibens „in“, doch sie verdienen nicht das Heil“ (Paul, the Law, and the Jewish People, Philadelphia: Fortress, 1983, 156; zitiert von Stephen Westerholm, „The ‚New Perspective‘ at Twenty-Five,“ in: D. A. Carson u.a., hsg., Justification and Variegated Nomism, II: The Paradoxes of Paul, Tübingen: Mohr Siebeck, 2004, 1-38; S. 3).
[54] Lorenzo Valla, Über den freien Willen, hsg. Eckhard Keßler (München: Wilhelm Fink, 1987), 55. „Für den Augenblick wollen wir jedoch zeigen, daß Boethius aus keinem anderen Grund als weil er ein allzu großer Liebhaber der Philosophie war, nicht in der gebotenen Weise im fünften Buch seines ‚Trostes der Philosophie‘ über den freien Willen gesprochen hat.“ (ebd., 59-61). „Denn was soll ich über die anderen sagen, wenn selbst Boethius... das, was er sich vorgenommen hat, nicht erfüllen kann, sondern zu eingebildeten und erlogenen Dingen seine Zuflucht nimmt? Er sagt nämlich, daß Gott durch die Einsicht, die über dem Verstand ist (intelligentiam, quae supra rationem est), und durch die Ewigkeit alles wisse und alles gegenwärtig habe“ (ebd., 71). Diese Kritik beruht auf einem nominalistischem Fundament „insofern sie der rein begrifflichen Lösung des Boethius die Realitätsadäquanz abspricht; sie impliziert aber zugleich auch eine Kritik an der nominalistischen Position selbst, insofern Valla sich nicht mit einer auf die Widerspruchsfreiheit von Begriffen reduzierten Wahrheit zufrieden gibt, sondern deren Einholbarkeit fordert, ohne die Begriffe ‚eingebildete und erlogene Dinge‘ sind“ (Keßler, ebd. 44).
[55] Ebd., 79.
[56] Ebd. 95.
[57] Ebd.
[58] Keßler, ebd. 45.
[59] Ebd. 117.
[60] Ebd. 117-19.
[61] Ebd. 127.
[62] Ebd. 135.
[63] „Er lindert die menschliche Situation des Ausgeliefert-Seins an eine unerkennbare und unberechenbare Macht lediglich dadurch, daß er die durch Christi Tod erlangte Gnade und Befreiung von der Erbsünde allen getauften Christen zuspricht“ (Keßler, ebd. 47).
[64] Lohse, 125.
[65] Zitiert, ib., 125-6.
[66] Siehe Theobald Beer, Der fröhliche Wechsel und Streit: Grundzüge der Theologie Martin Luthers (Einsiedeln: Johannes Verlag, 1980), 25.
[67] Hier kommt er nah einem Argument für den freien Willen, das er gewöhnlich schweigt: die Anerkennung, daß der Mensch durch seine freie Entscheidung sündigt (siehe McSorley, 313). Oft spricht Luther von der individuellen Sünde als wäre sie so radikal unfrei wie die Erbsünde. McSorley (ebd.) zitiert M. Doerne (bezüglich WA 18, 634-8): „die rationale Versteifung des Glaubenszeugnisses zum Widerspruch.“
[68] Siehe Olivier Boulnois, „Ce dont Dieu n’a pas d’idée: Problèmes de l’idéalisme médiéval (XIIIe-XIVe siècles), in O. Boulnois u. a., hsg., Le Contemplateur et les idées : Modèles de la science divine du néoplatonisme au XVIIIe siècle (Paris : Vrin, 2002), 44-78; 55.